Die Verantwortung für die Geburt tragen

Katrin Dambach

Mein Baby wurde diesen Monat ein halbes Jahr alt. Ich kann es kaum glauben !

 

Wie gut ich mich daran erinnere, als er mir im Kreissaal in die Arme gelegt wurde. Ich war total erschöpft, aber auch sehr erleichtert. 

 

Mit gemischten Gefühlen denke ich an die Schwangerschaft und Geburt zurück. 

 

Für mich war es ein langer Prozess zu entscheiden, wo und wie ich mein Kind zur Welt bringen möchte.

Ich denke, dieser Entscheid ist für uns Frauen von sehr grosser Bedeutung. 

Einen Geburtsvorbereitungskurs habe ich nicht gemacht. Ich dachte, mein Körper wird mir schon irgendwie sagen wie... Ich habe jedoch viel über verschiedene Geburten gelesen und gestaunt über all die starken Frauen. 

 

Für mich war es wichtig zu wissen, welche Optionen ich habe. Die Geburt sollte an einem Ort sein, wo ich mir vorstellen konnte mich zu öffnen. Gibt es einen intimeren Moment, als jener der Geburt? 

Natürlich wusste ich nicht was mich erwarten würde. Trotzdem hatte ich Wünsche.

Ich wollte die Verantwortung für die Geburt meines Kindes tragen. Ich wollte die Wahl für den Geburtsort, sowie die Geburtsart treffen, mit dem Bewusstsein, dass eine unerwartete Wendung eintreffen kann. 

 

Die Verantwortung für die Geburt zu tragen, bedeutet, dass ich mich an einen gesellschaftlichen Ort der Kontrolle hin zu einem Ort des Vertrauens bewege - einem Ort der Gewissheit, dass alles in Ordnung ist und so, wie es sein sollte.

Ich bin meiner Hebamme sehr dankbar, wie ernst sie meine Wünsche genommen und meine Integrität bewahrt hat. Mein Geburtswunsch hat sie erfüllt, indem sie wahnsinnig viel Ruhe ausstrahlte, mir meine Ängste nahm und ich ihr vertrauen konnte.

 

Sie wusste, wie gerne ich in der Eröffnungsphase in die Badewanne gehen möchte. Als es jedoch soweit war, fühlte ich mich nicht mehr dazu fähig, aufzustehen um im Nebenzimmer in die Geburtswanne zu steigen. Dennoch setzte die Hebamme alles daran, mir dies zu ermöglichen. Und tatsächlich war die Badewanne dann Gold wert. 

 

Auf meiner Wunschliste stand ebenfalls: Keine PDA zur Schmerzlinderung, ausser ich verlange ausdrücklich danach! Im Kreissaal wollte ich dies relativ schnell über Bord werfen. Zu früh hatte ich einen wahnsinnigen Pressdrang, den ich zurück halten musste. Dieses Gefühl war für mich kaum auszuhalten. 

Die Hebamme machte mir viel Mut und meinte, ich würde es ohne PDA schaffen.  Sie behielt recht.

Im Nachhinein bin ich mir nicht sicher, würde ich erneut so entscheiden? Es ist egal, ob mit oder ohne, viel wichtiger war für mich die Erfahrung, dass nicht einfach über meinen Kopf hinweg bestimmt wurde.

 

Es spielt keine Rolle, ob die Geburt mit oder ohne PDA, spontan – oder ein Kaiserschnitt ist, jede Frau versucht ihr bestmögliches und kämpft für sich und ihr Kind. Und das verdient Respekt.

 

Die Geburt meines Kindes ging zuerst zügig voran bis sie plötzlich ins Stocken geriet und die Herzfrequenz meines Babys herabfiel.

Mein Kind musste nun möglichst schnell per Saugglocke geholt werden. Mein Sohn kam mit der Nabelschnur um den Hals bewickelt zur Welt. Für meinen Mann war es ein Schockmoment.

Ich kriegte von all dem nur wenig mit. Ich war fix und fertig. Zugleich war ich unendlich froh, es endlich geschafft zu haben und mein Kind auf meiner Brust atmen zu spüren. 

 

Ganz anders als ich, erlebte meine Cousine die Geburt ihrer Tochter.  

Während ich schwanger war,  hatte sie eine schwere und lebensbedrohliche Geburt.

Dieser Moment, als ich um sie und ihr Kind bangen musste, ist mir sehr eingefahren. Für mich wurde dadurch klar, ich wollte in der Nähe einer Neonatologie gebären. Ein gesundes Kind wünschen sich alle Eltern und ist dies leider auch nie selbstverständlich.

 

Ich wohne in einer Stadt mit einem hohen Lebensstandard - einer Stadt mit einem Kantonsspital mit Neonatologie, einer Privatklinik und einem Geburtshaus. Mir standen also mehrere Möglichkeiten offen. 

Leider musste ich die Erfahrung machen, dass meine Wahl des Geburtsorts von meinem Arzt in der Schwangerschaft nicht ernst genommen wurde. Im Gegenteil, noch bis zum Vortag der Geburt, versuchte er mich umzustimmen. Jedoch ohne Erfolg, mein Bauchgefühl und Kopf waren stark genug.

Eine Geburt setzt schon genug Ungewissheit voraus. Anstatt mir Sicherheit zu geben, wurde ich bei der Geburtsanmeldung nur verunsichert. Das Ganze hat mich lange beschäftigt. 

 

Der Psychosoziale Aspekt wird in der Schwangerschaft gerne belächelt. Hauptsache der Blutdruck stimmt... Einer Schwangeren Blut abzunehmen hat bei uns auf jeden Fall einen höheren Stellenwert, als die vermeintlich einfache Frage nach dem eigentlichen Befinden. So habe ich es zumindest erlebt. Natürlich bin ich dankbar um den medizinischen Fortschritt und die heutige Risikoverminderung. Doch das eine, darf das andere nicht ausschliessen.

 

Lange konnte ich innerlich nicht mit meiner Schwangerschaft abschliessen.

Vielleicht vermisste ich deshalb längere Zeit meinen schwangeren Bauch.

 

An die Geburt meines Kindes werde ich immer wieder und gerne zurückdenken. Ich kann sagen, dass ich eine gute Geburt erleben durfte. 

Trotz Unvorhersehbarem war sie selbstbestimmt und das war für mich das Wichtigste. 

 

Die Verantwortung für die Geburt zu tragen, bedeutet sich in andere Hände zu geben,

zu vertrauen und zu kooperieren. Gegenseitiges Vertrauen basiert auf Gleichwürdigkeit. 

 

Es sind sechs Monate vergangen, mein Sohn und ich, wir sind beide «angekommen».

 

Ich blinzle zurück, welche Meilensteine er schon gemacht hat! Ich lerne ihn, seine Einzigartigkeit und seinen Charakter immer besser kennen. Ich staune über ihn – wie er sich verändert und aufwachst.

Und ich kriege nicht genug ihn mit Küssen zu übersäen und ihn zum Lachen zu bringen.